Kreativquartier Schlachthof

Für die Konversion des Areals um den ehemaligen Schlachthof Offenburg in ein Kreativwirtschaftszentrum haben wir einen bemerkenswerten Beitrag geliefert. Er spiegelt unsere Position eines State-of-the-art-Stadtquartiers nach den Zielen der Leipzig Charta der europäischen Stadt wieder. Der Vorschlag setzt bei der Frage an, wie Innovationen in einer Stadt entwickelt, gefördert und gehalten werden. Das Grundgerüst ist die Verräumlichung der Theorie zur Etablierung von Innovationen: „Crossing the chasm“ (Über den Graben springen):

 

Kreativwirtschaftszentren beschränken sich häufig auf die räumliche und logistische Unterstützung der „Kreativen“. So entsteht ein geschützter Raum für Ideen, vergleichbar mit einem Biotop. Unser Vorschlag für das Kreativquartier Schlachthof Offenburg geht einen Schritt weiter und hat den Anspruch statt einem solchen Biotop eine Art Ökosystem der Kreativen zu etablieren. Basierend auf der Verräumlichung von Everett M. Rogers und Geoffrey A. Moore‘s Theorie der Etablierung von (technologischen) Innovationen erarbeiten wir im Folgenden einen Vorschlag der es ermöglicht, Innovationen langfristig am Standort Offenburg halten zu können und so die Wertschöpfung in der Stadt / Region zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt unser städtebaulicher Ansatz radikal darauf, den Sprung über den Graben metaphorisch („crossing the chasm“ vgl. Moore, 1991) wie auch stadträumlich (Stadtgraben) sicher zu stellen.

 

 

  1. Konzeptionelle Grundlagen

 

Nach Rogers und Moores Modell des „technology adoption life cycle“ sind ca. 15 % der Bevölkerung grundsätzlich sehr innovationsfreudig („Innovators“ und „early adopters“). Sie produzieren, absorbieren und reflektieren Innovationen leicht und selbstverständlich. Viele Kreativwirtschafts- und Gründerzentren konzentrieren sich in ihren Bemühungen darauf, dieser Gruppe räumliche und logistische Unterstützung zu geben.

Wirtschaftlich erfolgreich und auf breiter Ebene relevant wird eine Innovation demnach aber nur, wenn sie die große Mehrheit (“early majority“ und „late majority“) erreicht. Dieses Erreichen der Massenwirksamkeit wird „crossing the chasm“ (dt. “Sprung über den Graben“) genannt. Wir wollen diesen Sprung – und damit auch die dauerhafte Ansiedlung von Unternehmen in Offenburg – zum zentralen Thema des Quartiers machen.

 

Beschränken wir uns also nicht nur auf den Schlachthof, sondern überlegen wir, was für eine Entwicklung ein Start-Up auf dem Weg zu einem in der Stadt etablierten Unternehmen idealerweise nimmt, und überlegen wir weiterhin, welche Zonen wir definieren müssen um diese Entwicklung optimal zu fördern. Im Schlachthof selber erarbeiten die Pioniere eine Idee, entwickeln sie weiter und vernetzen sich mit Gleichgesinnten. Am Ende dieses Prozesses steht nach unserem Modell aber nicht der Auszug aus dem Kreativquartier, sondern der fließende Übergang in die Zone der Macher (der reality-Check einer Geschäftsidee) oder die Kommunikation der Idee in einem städtebaulichen „Schaufenster“ gegenüber der Stadtgesellschaft. Nach dieser Phase brauchen Start-Ups immer noch Schutz und Unterstützung, wenngleich in wesentlich geringerem Maße. Daher werden sie zu Siedlern, die erfolgreich eine Geschäftsidee entwickelt haben nun ihr Unternehmen skalieren, bis es sich langfristig etabliert hat und der Schutz des Schlachthofquartiers nicht mehr nötig ist.

 

Im nächsten Schritt legen wir die Grundlage für eine thematische-, funktionale- und auch strukturelle Ordnung des Quartiers. Wir ordnen die jeweiligen Zonen so um den Nukleus Schlachthof an, damit sie sich formal und funktional bestmöglichst mit dem Stadtkontext verweben lassen. Wichtig ist hierbei, den Nukleus des Schlachthofgebäudes als identitätsstiftenden Kern möglichst präsent werden zu lassen. Die Zonen in den späteren Entwicklungsphasen der Start-Ups sollten skalierbar sein und so sollten vor allem die Siedler und Etablierten über die Grenzen des Wettbewerbsgebiets wachsen können. Als Vorbereitung des konkreten städtebaulichen Entwurfs weisen wir den Zonen nun detaillierte städtebaulichen und architektonische Eigenschaften und Zielvorstellungen zu (siehe unten).

 

 

  1. städtebauliches Entwurfskonzept

 

Nach den ermittelten Zonen und deren funktionalen, formalen und strukturellen Einbindung in den Kontext entwickeln wir die konkrete städtebauliche Form. Maßgeblich ist hierbei die maximale Inszenierung des Schlachthofes als impulsgebendem „Nukleus“.

Wir führen die verkehrliche Erschließung, im Westen PKW und im Osten den Rad- und Fußweg, möglichst nah an den Schlachthof heran um den Straßenraum nicht nur als Infrastruktur, sondern als echte Interaktionsfläche zu gestalten. Dies gelingt nur durch eine hohe Dichte und abgestimmte Nutzungen auf beiden Seiten der Infrastrukturen. Die sehr attraktive Nord-Süd-Verbindung entlang des Mühlbachs wird ebenfalls verschwenkt und dicht am Schlachthof vorbei geführt. Dies erzeugt nicht nur eine hohe Spannung, sondern auch die gewünschte Interaktion von Passanten mit dem Schlachthofgebäude.

Der motorisierte Individualverkehr soll im Wesentlichen von Norden über die Freiburger Straße ins Quartier gelangen. Dort befindet sich ein zentrales Infrastrukturhub, dass neben Parkplätzen auch Sharingangebote, Energieversorgung und einen Freizeitbereich auf dem Dach vorsieht. Das ganze Areal wird als „urbanes Gebiet“ betrachtet und strebt eine weitegehende Reduktion des MIV und eine Stärkung des Fuß- und Radverkehrs, sowie alternativer Mobilitätskonzepte an.

 

 

Die Heterogenität im strukturellen, im atmosphärischen wie auch im funktionalen Sinne ist das oberste Ziel unserer Konzeption. Diese Heterogenität wird durch unterschiedlichste Körnungen, wie vor allem aber auch durch unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten und Morphologie erzielt. Mit dieser Heterogenität in jeglicher Beziehung soll der Schlachthof nicht nur dem heterogenen Kontext entsprechen, sondern auch einen kontrastreichen Gegenpol zu den vom Wohnungsbau geprägten Stadtstrukturen des neuen Quartiers „alte Spinnerei“ oder der klassischen Gründerzeitbebauung des Quartiers um die Gaswerkstrasse bilden.

Durch die Setzung einer Quartiers-DNA, die von strukturellen, funktionalen und atmosphärischen Kontrasten geprägt ist, kann ein vibrierendes und aufregendes neues Stadtquartier entstehen, in dem jeder seinen Platz zur Aneignung findet und das einen markanten und eigenständigen Platz im Stadtgefüge Offenburgs findet.

 

Unser Bebauungsvorschlag ist an manchen Stellen sehr konkret und macht fast schon architektonisch-präzise Vorgaben. An anderen Stellen bleibt er sehr entwicklungsoffen und diffus, hier kann je nach Entwicklung flexibel auf die Bedürfnisse eingegangen werden. Wir wollen die sehr präzise formulierten Bausteine als Katalysatoren verstanden wissen, die eine Entwicklung gezielt anschieben. Diese Präzision ist allerdings nicht dogmatisch, sondern eher methodisch gemeint. Die erwähnten Katalysatoren der Entwicklung, von uns „Meilensteine“ genannt können natürlich auch anders aussehen. Zur Klärung der Formen und Funktionen schlagen wir entsprechende Beteiligungsverfahren und Architekturwettbewerbe vor.

 

  1. architektonische Meilensteine der Entwicklung

 

Die EXPO_Zone                            Die Expozone ist das Schaufenster des Schlachthofs. Die soziologische Idee dahinter ist der maximal verdichtete öffentliche Raum. Die Gestaltung ist hochflexibel und maximal vom Zeitgeist geprägt. Der Raum soll Spaß machen und aneigenbar sein. Über dieses Framing entsteht eine Atmosphäre, die die Schlachthofnutzer als städtebauliches Display nutzen können, um sich und ihre Arbeit der Stadtöffentlichkeit nahe zu bringen.

 

Die Start-Up-Module                  Die Start-Up-Module sind sowohl Teil des Schlachthofgebäudes, setzen sich aber auch darüber hinaus ans Mühlbachufer fort. Es handelt sich um stapelbare Holzrahmenmodule, die leicht erweiter- und reduzierbar sind. Sie funktionieren als eine Art „Überlauf“ für den Schlachthof. Durch die maximale Öffentlichkeit gewährleisten sie für die Start-Ups eine maximale Sichtbarkeit für die Stadtöffentlichkeit in attraktiver Waterfront-Lage.

 

Der Inkubator                                 Der Inkubator ist ein privatwirtschaftliches Projekt, das vielversprechende und bereits erfolgreiche Start-Ups groß macht und mit repräsentativen Räumlichkeiten ausstattet. Die Atmosphäre ist clean und hochwertig, weniger spielerisch und improvisiert als im Schlachthofgebäude. Denkbare Nutzer wären Programmierer oder Fintechs. Der Inkubator ergänzt das Schlachthofgebäude und die Start-Up-Module um eine Hochglanzvariante.

 

Der Makerspace                            Der Makerspace ist der Ort, an dem die Industrie 4.0 – Gründer ihre Unternehmen auf- und ausbauen. Es wird dabei unterschieden zwischen einem public Makerspace, der Öffentlichkeit und Aneignung erzeugt und einem geschützten Raum. Im Bestandsgebäude sind der public Makerspace und die Büros lokalisiert. In dem noch zu definierenden Werkhallenanbau sind die Räume für großformatige Produktion und Testläufe untergebracht.

 

Das Mobility-Hub                         Das Mobility-Hub ist ein modulares Parkhaus mit unterschiedlichen Sharingkonzepten und öffentlicher Sportfläche auf dem Dach. Es kann kostengünstig erstellt und betrieben werden. Im erwartbaren Fall eines Bedeutungsverlusts des mobilen Individualverkehrs kann sich das Hub mitverändern und rück- bzw. umgebaut werden. Im Idealfall wird die Fläche im absehbaren Zeithorizont für eine andere öffentliche Nutzung frei.

 

Das Schlachthofgebäude           Das architektonische Konzept für den Umbau des Schlachthofgebäudes geht aus der städtebaulichen Situation hervor: die „Mall of Innovation“.

Aus dem Spinnereiquartier entwickelt sich vom Kesselhaus bis zum Schlachthof eine prägende Achse. Wir führen diese Achse als halböffentlichen Raum durch den Schlachthof hindurch. Die Mall of Innovation funktioniert nach dem Prinzip einer Einkaufsstraße, die der Besucher entlang flaniert und in der er von rechts und links Ideen erhält. Die geforderten bzw. die sich aus dem crossing-the-chasm-Konzept ergebenden Nutzungen stecken sich orthogonal zur Achse durch und werden mit den angrenzenden Zonen (“Siedler“, „Experimentelle“ & „Macher“) verknüpft. Die Durchlässigkeit von Menschen und Ideen ist so durch das Quartier und durch das Schlachthofgebäude gleichermaßen gegeben. Der städtebauliche Ansatz wird damit auf architektonischer Ebene abgebildet und die Grenzen zwischen Einzelarchitektur und Quartier werden diffus. Der Schlachthof ist kein abgeschlossenes Gebäude mehr, er ist das Architektur gewordene Quartierskonzept: ein „Nukleus“ im besten Sinne.

 

 

Fazit

 

Unsere Idee für das Quartier um den Schlachthof ist eine Vision im besten Sinne. Sie ist initiiert von dem Wunsch, nicht nur ein weiteres Kreativenbiotop zu schaffen, sondern ein eigenes Ökosystem der Kreativität und der Gründerkultur in der Stadt und der Region zu etablieren. Die Grundstruktur dieses Ökosystems basiert auf der Etablierung von Everett Roger Theorie der langfristigen Etablierung von Innovation, ist also ökonomisch motiviert. Die resultierenden Strukturen, Atmosphären und Programme sind jedoch von harmonischer Heterogenität und dem menschlichen Maßstab geprägt. Diese Heterogenität in jeder Beziehung macht unser Konzept gewagt und angreifbar, bietet aber die Möglichkeit ein wirklich außergewöhnliches und charakterstarkes Stadtquartier der Zukunft zu entwickeln.